Was ist Gesellschaft gegen Grillenzirpen?

Was ist Gesellschaft gegen Grillenzirpen?

Ai Weiwei: Ausstellung im Kunsthaus Bregenz

Mit dem chinesischen Menschenrechtsaktivisten in den Mond gucken
Mit dem chinesischen Menschenrechtsaktivisten in den Mond gucken ...

Wer spielt mit wem und wer benutzt wen? Diese Frage stellt sich bei der aktuellen Ausstellung des chinesischen Künstlers und Menschenrechtsaktivisten Ai Weiwei im österreichischen Bodenseestädtchen Bregenz. Versucht hier ein Kunsthaus in der Provinz, sich spektakulär in den Vordergrund zu spielen? Gelingt es einem Einzelkünstler, Gewicht und Renommé einer Institution für seine Zwecke zu vereinnahmen? Oder sind die Besucher und Bewohner dieses Festspielortes in idyllischer Lage Zeuge einer neuen, globalen Form der Verknüpfung künstlerischer und politischer Strategien?

»Free Ai Weiwei« steht in großen klaren Lettern auf der kühlen Kunstbox Peter Zumthors in Bregenz. Das ist eine klare Positionierung für den chinesischen Konzeptkünstler und Kunstprovokateur, der in seinem Bestreben, Kommunikationen in und über die Gesellschaft seines Heimatlandes anzuregen und ihr dadurch zu größerer Offenheit zu verhelfen, sogar sein Leben und seine Gesundheit als Pfand einsetzt.

Ähnliche Radikalität, ohne jedoch den dezidiert politischen Ansatz Ai Weiweis, zeichnete in der Kunst der Postmoderne zuletzt die Performerin Marina Abramovic aus. Interessant ist, dass beide Emigranten aus Gesellschaften des Ostens sind, die erst die Erfahrung eines alltäglichen Lebens in den Vereinigten Staaten zur Ausbildung eines Interesses am Erkunden des Extremen trieb.

Pikant in Bregenz ist nun: Zum Zeitpunkt, da die Lettern mit der Freiheitsforderung auf dem Kunsthaus montiert wurden, kam der Künstler, mit dem die Ausstellung schon lange vor seiner Verhaftung besprochen und vereinbart worden war, überraschend aus dem Gefängnis. Die Aufforderung »Free Ai Weiwei« geht seitdem ins Leere, selbst wenn dem Künstler in China nicht alle Freiheitsrechte zugestanden werden; er steht de facto unter Hausarrest.

Die Buchstabenkombination in ein triumphales »Ai Weiwei Free« umzuwandeln und dabei den Verschiebemechanismus der Großlettern sichtbar stehen zu lassen, als ein Zeichen für den medialen Empörungsapparat, das trauten sich die Verantwortlichen des Kunsthauses nicht. So bleibt die verspätet angebrachte und seitdem unveränderte Aufschrift weiter lesbar. Entweder als eine permanente Aufforderung zur allumfassenden Freiheit dieses Künstlers – was in letzter Konsequenz in eine Auffrischung des philosophischen Disputs über die Willensfreiheit mündet –, oder als die kühle Erwartung, dass sich der Ausspruch durch neuerliche Brisanz auflade.

Besucher aus aller Welt wollen wissen, was diesen Künstler, der so viele Schlagzeilen verursacht, eigentlich auszeichnet. Sie werden – zunächst – weitgehend enttäuscht. Denn es handelt sich vornehmlich um Präsentationen des architektonischen Werks von Ai Weiwei. Skizzen und Modelle des als Vogelnest bekannt gewordenen

Olympistadions von Peking sind zu sehen, kleinere Bauten für Galeristen sowie von Ai Weiwei initiierte Stadtplanungen.

Dabei stellt sich ein interessanter Kontrast aus Verspieltheit und Filigranität heraus (wie etwa beim Stadionprojekt) und klarer, fast konfuzianischer Nüchternheit – wie etwa bei der aus vier Kuben bestehenden Tsai Residence in Ancram, New York oder dem aus scheibenartigen Klötzchen bestehenden Five Houses Project. Eine Synthese beider Aspekte ist bei der Planung des neuen Stadtteils Jindong der chinesischen Millionenstadt Jinhua und bei dem Fantasieprojekt »Ordos 100« für die Steppe der Inneren Mongolei sichtbar.

In Jinhua werden die monotonen Klötze des chinesischen Baugewerbes dank des durch Ai Weiwei vermittelten Engagements des schon für das Pekinger Stadion verantwortlich zeichnenden Büros Herzog & de Meuron in Wellenstrukturen aufgelöst. »Ordos 100« wiederum stellt ein in 100 gleich große Grundstücke aufgeteiltes Gebiet dar, in dem 100 aus aller Welt stammende Architekturbüros Projekte für Einfamilienhäuser vorstellen können. Gemäß Ai Weiweis Beobachtung, dass im Westen ein differenzierteres Nachdenken über Architektur anzutreffen ist, sind die 100 Flächen mit einer Vielheit von Formen und Ansätzen bedeckt. Das in China aus Holz gefräste Großmodell zeigt schon die verschiedenen Umrisse.

Als Diskussionsforum über Nutzen, Möglichkeiten und Beschränkungen von Architektur ist »Ordos 100« sicherlich phänomenal. Ärgerlich ist jedoch, dass weder hier noch in den anderen, den eigentlichen Bauprojekten, Art und Umfang der Tätigkeit des ArchitekturLaien Ai Weiwei präzise benannt ist. Kommt dem chinesischen Partner eher die Rolle einer Muse, eines Katalysators von kreativen Prozessen zu? Oder versuchen hier, wie es »Die Zeit« vermutete, »gerissene Westler den Namen des

aufrechten Künstlers zum eigenen Vorteil als Marketingtool zu missbrauchen – die Architekturbüros ebenso wie jetzt auch das Bregenzer Kunsthaus?

All diese Fragen bleiben offen. Ein Verdienst der Ausstellung ist es auf jeden Fall, die Fragen über die Rolle und Funktion von Künstlern in arbeitsteiligen Prozessen unter den Bedingungen der weltweiten Aufmerksamkeitsgesellschaft aufgeworfen zu haben. Die Ausstellung, deren eigentlichen Namen »Ai Weiwei. Art/Architecture« man wegen des überwölbenden Freiheitsbogens glatt vergisst, sorgt für fruchtbare Irritationen.

Sogar in einen Zustand der Versöhnung tritt man beim Betreten des dritten Stockwerks ein. Dort sind die sogenannten »Moon Chests« ausgestellt, große hölzerne Kästen, gebaut ohne Schrauben und Nägel, an der zentralen Achse zwei Löcher. Hintereinander gestellt ergeben sich beim Durchgucken verschiedene Mondkonstellationen. Mit einfachen Mitteln ist der Himmel ins Kunsthaus gekommen. Der Lauf des Erdtrabanten symbolisiert das Vergehen von Zeit und erinnert an eine Regelhaftigkeit, in der gesellschaftliche Ereignisse geringer noch als Grillenzirpen anmuten.

Was ist Freiheit, wenn selbst so ein Brocken wie der Mond dazu gezwungen ist, ist den Augen seiner Betrachter in immergleichem Rhythmus zu schrumpfen, zu vergehen und wieder zu wachsen?

Ai Weiwei, Art/Architecture, Kunsthaus Bregenz, bis 16. Oktober, Di bis So 10-18 Uhr. www.kunsthaus-bregenz.at

 

(Quelle:http://www.neues-deutschland.de/artikel/204986.was-ist-gesellschaft-gegen-grillenzirpen.html ; 14. November 2011, 13:30)

 

 

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Kommentare: 2
  • #1

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